17.07.2025

Taiwan Today

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S-E-X verkauft sich gut

01.01.1990
Sinnlichkeit - zahmer als in Europa oder den USA, aber die Lawine erotisch gestalteter Anzeigen ist ins Rollen gekommen.

Photos mit freundlicher Genehmigung von FILM Productions Ltd.

Die relativ junge konsumorientierte Gesellschaft der Republik China nennt stolz einen der aktivsten Werbemärkte der Welt ihr eigen, und "sexuelle Werbung", der Gebrauch sexuell provozierender Bilder zur Verkaufsförderung, ist in Taiwan genauso zu einem Bestandteil des Produktmarketings geworden wie in Japan oder den modernen westlichen Ländern.

Anders jedoch als in vielen anderen Ländern, in denen die Ausbeutung von Sex zu Werbezwecken eine längst akzeptierte Strategie ist, ist es für Werber, Werbeagenturen und die Öffentlichkeit in Taiwan ein neues Spiel. Und niemand scheint sich so recht sicher zu sein, wie er auf diese wirkungsvolle Art von Werbung reagieren soll, zumal die einheimischen Bürger traditionellerweise eher puritanisch sind, wenn auch mehr in Worten denn in Taten.

Die gegenwärtige Situation ist von kräftigen sozialen und kulturellen Veränderungen gezeichnet, und eine der bemerkenswertesten kommt einer sexuellen Revolution gleich. Unter den Jüngeren ist der Meinungswandel am deutlichsten sichtbar, und da sie nahezu die Hälfte der Konsumenten ausmachen, tun die Werber ihr Bestes, um durch die Überschwemmung der Medien mit einer Flut sexy designter Anzeigen ihre Aufmerksamkeit zu erregen.

Aber es gibt viele, die sich darüber zu sorgen beginnen, daß solche Verkaufstaktiken die moralischen Konventionen noch weiter aushöhlen - ein Prozeß, der die Öfentlichkeit dazu bringt, die Themen Sex und Werbung neu zu überdenken.


Auch wenn "sexuelle Werbung" in Taiwan verglichen mit der in Europa oder den USA zahm ist: Das, was heutzutage auf den Bildschirmen, auf Anzeigetafeln, in Zeitungen und Magazinen zu sehen ist, war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Nur mit einem Bikini bekleidete chinesische Fotomodelle werben für alle Arten von Produkten, die Palette des solcherart Angepriesenen reicht von Parabolantennen bis zu alkoholfreien Getränken.

Obwohl hiesige Zeitungen und Magazine seit Jahren gewagtere Abbildungen von Frauen drucken, gewann die "sexuelle Revolution" in Taiwans Werbebranche erst 1987, nach der Aufhebung des Kriegsrechtes und der Presserestriktionen, an Schwung. Die liberalere Atmosphäre kam zeitgleich mit der Öffnung des Inlandmarktes für ausländische Güter, einem Konsumgüterboom stand nichts mehr im Wege.

"Modern" und "ausländisch" sind die Schlagwörter für Taiwans Jugend der 80er Jahre, und sowohl einheimische wie auch ausländische Werbeagenturen nutzen alle Vorteile dieser Stimmung, die sich am treffendsten durch das Wort "Kaufrausch" beschreiben läßt. Als Reaktion auf diesen Trend bombardieren die Agenturen den Markt mit einer Lawine erotisch gestalteter Anzeigen, in denen das Image einer neuen, sexuell befreiten chinesischen Gesellschaft entworfen wird. Dieses Image nimmt zunehmend gewagtere Züge an und scheint die allgemeinen Ansichten zur Darstellung von Sexualität tatsächlich neu zu definieren.

Viele der neuen Anzeigen vertrauen auf die altbewährte Formel, zur Erregung von Aufmerksamkeit den menschlichen Körper zu benutzen, und viele der unerfahreneren einheimischen Werbeleute wurden bereits dahingehend kritisiert, daß sie mit dem Einsatz halbnackter Fotomodelle lächerlich über das Ziel hinausgeschossen wären. Offenbar sind einige Agenturen vom Sex als billigem Ersatz für Kreativität so abhängig, daß sie der weniger offensichtlichen Sensibilität der Zielgruppe keine Beachtung schenken können. Der Schockwert, oder zumindest das Erregen von Aufmerksamkeit ist alles.

Die unbeholfensten dieser Anzeigen sind häufig die für Damenunterwäsche. Sie zeigen langverweilende Nahaufnahmen, und bis vor kurzem waren die Fotomodelle ausschließlich Ausländerinnen. Chinesische Frauen haben sich traditionellerweise davor gescheut, soviel Haut sehen zu lassen. Aber ein Zeichen für die sich ändernden Zeiten ist das Auftauchen chinesischer Modelle in den Anzeigen für Badeanzüge, Unterwäsche und Toilettenartikel. Heute posieren junge Chinesinnen im Bikini oder halbnackt in Bade- oder Schlafzimmeraufnahmen - vor ein paar Jahren noch kaum denkbar.

Wenn man von den Reaktionen in den lokalen Medien ausgeht, waren die schockierendsten der kürzlich erschienenen Werbeanzeigen jene, die für Sportschuhe der Marke "Travel Fox" warben. Abgebildet waren in verschiedenen Umarmungsposen - fast - nackte männliche und weibliche Körper, das italienische Schuhwerk an den Füßen. In den USA hatte die Anzeige einen ziemlichen Wirbel verursacht, und verschiedentlich war sie abgelehnt worden, selbst das liberale "Rolling Stone"-Magazin hatte sich geweigert, sie zu drucken. Solche Anzeigen in Taiwan zu veröffentlichen, bedeutete für den Importeur der Schuhe ein nicht zu unterschätzendes Risiko, aber zum Erstaunen aller hatte die Regierung gegen die Werbung nichts einzuwenden. Ausgedehnte Kontroversen und Debatten folgten auf dem Fuße.

Obwohl mit Sicherheit hart an der Grenze von Taiwans kultureller Akzeptanz - die Werbung wirkte. Die Kontroverse sorgte für mehr kostenlose Mundpropaganda und Medienpublicity als je bei einem anderen Produkt in der Geschichte Taiwans. Die Schuhe von "Travel Fox" waren, trotz der Beschwerden in den redaktionellen Abteilungen der Zeitungen, ein durchschlagender Erfolg auf dem hiesigen Markt. Und, das ist das Erstaunlichste an der Sache: Die Anzeigen wurden von der allgemeinen Öffentlichkeit mehr oder weniger akzeptiert.

Im Dickicht relativ primitiver "sexueller Werbung" in Taiwan gibt es zumindest eine Agentur, die sich durch die Produktion erotischer und dabei geschmackvoller Werbeanzeigen hervortut. Die Agentur heißt "Ideology Advertising Inc." (意識形態廣告公司), und für ihre Kreativität wurde die Firma bereits mehrfach ausgezeichnet. Für so unterschiedliche Produkte wie Soft Drinks und Kaufhäuser hat "Ideologie" suggestive und sinnliche Anzeigen gestaltet, aber ihre Ansatz ist subtil, und nicht einmal eine bloße Schulter wird gezeigt. Stattdessen kreiert "Ideologie" die höchst sinnlichen Stimmungen durch den phantasievollen Gebrauch anspielungsreicher Bilder.

Tatsächlich bestreitet Präsident und Kundendienst-Direktor Sam Jeng (鄭松茂), daß seine Werbung in die Kategorie "sexuelle Werbung" fällt. Er beharrt darauf, daß seine Agentur lediglich die mit den sozialen Frustrationen der jüngeren Generation zusammenhängenden Themen herauszufinden suche, um mit ihnen als Vehikel die Zielgruppe zu erreichen.

Zwei 1988 für die Kaugummimarke "Stimoral" produzierte Anzeigen unterstützen seine Behauptung - obwohl sie in einer von einem lokalen Magazin veranstalteten Umfrage zur Erotik in der Werbung in Taiwan hinter Travel Fox auf Platz zwei und drei landeten. Eine der beiden, "Die Traumanalyse", zeigt ein zerwühltes Bett im frühen Morgenlicht, vom Wind verstreute Rosenblätter und eine grüne Schlange, die sich auf dem Boden sinnlich um einen halbgegessenen Apfel schlängelt. Die andere, "Der Stadtdschungel" genannte Anzeige handelt von sexueller Belästigung. Sie stellt die Kollegen einer Geschäftsfrau als bedrohliche Tiere im "Dschungel" des modernen Büros dar.

Aber natürlich ist das meiste an Sex in der lokalen Werbung weder kreativ noch subtil. Die unzähligen kleinen Agenturen am unteren Ende der Geschmacks-Skala ersetzen kreatives Talent und Professionalität in der Regel immer dann durch Sex, wenn ihr Budget auf Grund gelaufen ist. Oft sind ihre Anzeigen auch unnötig sexistisch, aber da es den neuen populären Magazinen und Zeitungen auf der Insel an betriebsinternen Werberichtlinien mangelt, erfreuen sie sich dennoch einer weiten Verbreitung.

Allerdings sind nun einige Frauenrechtsgruppen auf den Plan getreten und stellen das, was sie als unkontrolIierten Trend empfinden, in Frage. Eine von ihnen ist die "Stiftung Erwachen" (婦女新知基金會). Sie attackiert jede Werbung, in der sie Vermarktung und Degradierung von Frauen sehen. Winnie Peng (彭婉如), die Generalsekretärin der Organisation, sagt, daß die in Frage stehenden Anzeigen Frauen als Sexualobjekte darstellten, und sie fügt hinzu, daß die für solcherart Werbung verantwortlichen Agenturen hierfür bestraft werden sollten. Sie veröffentlicht ihre feministischen Ansichten in "Erwachen", dem monatlich erscheinenden Magazin der Organisation.

Gegen die Werbeanzeigen von "Ideologie" hat Frau Peng nichts einzuwenden, aber ihrer Meinung nach sind die "Travel-Fox"-Anzeigen "für die chinesische Gesellschaft ungeeignet". Sie sagt: "Die Werbung verkündet die Botschaft, daß diese Schuhe modern und teuer sind, was sie sehr attraktiv für junge Leute macht. Die Anzeige sagt 'Ich bin wer!' Aber es ist völlig überflüssig, Sex zu benutzen, um Schuhe zu verkaufen. Diese Art von Werbung ist schädlich für unsere Jugend."

Die Stiftung vertritt ihren Standpunkt, indem sie sich direkt bei den Werbeagenturen und Händlern beschwert, außerdem ermutigt sie Frauen dazu, die Firmen, durch deren Werbung sie sich beleidigt fühlen, zu boykottieren und veranstaltet öffentiche Seminare zum Thema "Sex in der Werbung".

Aufgebracht ist die Stiftung vor allem ob der großen Anzahl der täglich in den lokalen Zeitungen zu findenden Anzeigen, die für vermeindlich potenzsteigernde Elixiere werben. Peng verweist auf ein typisches Beispiel: Die Anzeige zeigt einen Geschäftsmann, der mit zwei jungen, nur mit seidener Unterwäsche bekleideten Damen auf einem Sofa liegt. Die Überschrift dazu lautet: "100 000 Männer können die Ergebnisse bezeugen - und 300 000 Frauen verlangen nach mehr!" Sie wirft dieser Art von Werbung vor, daß sie "eindeutig Untreue und Polygamie fördert."

Doch stellt Frau Peng fest, daß die Lacher letzten Endes auf Seiten der Frauen sein würden, da es ja die Frauen - und nicht die Männer - seien, die die Familienfinanzen unter Kontrolle hätten, die Familieneinkäufe tätigten und das ausschlaggebende Wort bei großen Familienanschaffungen hätten.

Darüber hinaus stellten die 15- bis 65jährigen chinesischen Frauen in Taiwan 47 Prozent aller Arbeitskräfte, und ihr Anteil steige noch. Gedankenlose Werber, die sie als Bestandteil des Marktes übersähen, täten dies auf eigene Gefahr.

Beschwerden über erniedrigende Werbung klingen vertraut in den Ohren westlicher Konsumenten, sie führen diesen Kampf gegen den schlechten Geschmack seit Jahrzehnten. Sozialkritiker haben vermutet, daß primitive und unpassende "Sex-Werbung" in einem bestimmten Stadium wirtschaftlicher Entwicklung unvermeidbar an Auftrieb gewinne und einen allgemeinen Mangel an Differenzierung und Reife unter Werbern, Händlern, Medien aber auch der breiten Offentlichkeit widerspiegele. Die Bandbreite an Stilen und des Umganges mit der inzwischen in Taiwan weit verbreiteten "sexuellen Werbung" verdeutlicht, daß die sozialen Werte ganz schön in Bewegung geraten sind. Werber und Medien sind sich genauso wenig sicher, "was geht" und was nicht, wie die Öffentlichkeit.

Während die selben Werbefachleute Profite wichtiger finden als Ethik, müssen sie doch auf die sich ändernden Ansichten der Gesellschaft über ihre Techniken Rücksicht nehmen. Der Erregungs- oder Schockwert "sexueller Werbung" könnte in dem Maße, wie die Leute ihre Ansichten überdenken, sogar zur Belastung werden. Kreativität funktioniert, wie Sam Jeng von "Ideologie" bereits herausgefunden hat, ebenfalls, und in der Tat könnte sich erweisen, daß sie sich sogar langfristig eher bezahlt macht. Für den Augenblick gilt jedoch: Sex verkauft sich gut.

(Deutsch von Arne Weidemann)

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